Tiere töten ist out. So orientieren sich Landwirt:innen um
Viele Landwirt:innen sind emotional gestresst, wenn sie ihre Tiere zum Schlachthof bringen müssen. Der Verein TransFARMation zeigt Höfen, wie sie wirtschaften können, ohne Tiere halten und ausbeuten zu müssen.
Hans Möller hat sich nie Gedanken darüber gemacht, wie es den Tieren auf dem Bauernhof seines Vaters ging. Die Milchkühe bekamen Kälber, die wurden kurz nach der Geburt von der Mutter getrennt, die Muttermilch kam in den Tank und wurde verkauft. So war es schon immer. So wuchs Hans auf. So würde er es auch machen, wenn er den Hof eines Tages übernimmt.
Als Jugendlicher beginnt er eine Ausbildung zum Landwirt in einem größeren Betrieb mit Masthühnern – dabei verändert sich etwas in ihm. Fast täglich muss Hans tote Hühner aus den Käfigen fischen und auf dem Misthaufen entsorgen: Weil sie so eng zusammengepfercht leben, treten sich die Tiere gegenseitig tot. Sie tragen kaum mehr Federn auf der Haut; den Eiern, die sie legen, fehlt teilweise die Schale.
Das alles ist Ausdruck ihrer ungesunden Lebensweise und Umgebung. Hans fühlt Übelkeit in sich hochkommen. Zum ersten Mal beginnt er sich zu fragen, wie man eigentlich mit Tieren umgehen darf. Und er sagt zu sich: »So einen Scheiß machst du nicht!«
Landwirt:innen haben keinen leichten Job. Egal, ob sie ihre Tiere in einem Großbetrieb mästen oder auf dem kleinen Biohof mit viel Frischluft halten – sie am Ende zum Schlachthof zu bringen, kann traumatisch sein. Davon erzählt Matthias Welzel. Er ist Projektleiter des
Matthias begegnet täglich Fällen wie denen von Hans Möller: »Wenn Landwirt:innen etwas tun müssen, das sich für sie nicht richtig anfühlt, kann das psychisch sehr belastend sein. Häufig bauen sie sich dann eine innere Mauer auf, um sich von den Tieren zu distanzieren. Manchmal bröckelt die Mauer aber doch.«
Wenn diese Mauer bröckelt, stehen Bäuerinnen und Bauern oft vor einem Problem. Sie wollen nicht weitermachen wie bisher, wissen aber nicht, welche Alternativen es gibt. Oft müssen Höfe noch Kredite abbezahlen und können aus finanziellen Gründen nicht aus der Tierhaltung aussteigen.
An einem sonnig-warmen Oktobertag 2023 sind Matthias Welzel und seine Kollegin Samara Eckhardt beim Ferienhof Möller in Schleswig-Holstein. Sie sollen die beiden Söhne von Hans Möller beraten, die bald den Hof in vierter Generation übernehmen werden.
Seit der traumatischen Erfahrung auf der Hühnerfarm ist Hans Möller mit seiner Frau Anette auf eine biologische, tierfreundlichere Landwirtschaft umgestiegen. Sie lassen etwa ihre Kälber in den ersten 3 Monaten bei der Mutter bleiben – ein seltenes Privileg für
Die Söhne wollen nun einen Schritt weitergehen und einen komplett veganen Bauernhof daraus machen.
»Wir übernehmen den Hof. Aber auf unsere Art«
Die 2 jungen Männer biegen mit weiten Schritten in den Hof ihrer Eltern, vorbei am Eingang, der mit Bio-Zertifikaten und Info-Tafeln zu artgerechter Tierhaltung plakatiert ist. Marco und Maik tragen Jeans und T-Shirt, sind groß und gut gebaut. Sie sehen aus wie junge Berufseinsteiger aus Hamburg, die in hippen Cafés Hafermilch trinken, 4-mal die Woche das Fitnessstudio besuchen und zum Fernarbeiten auch mal auf eine Insel fahren.
Ein bisschen sind sie das sogar. Sie ernähren sich vegan und kommen gerade aus Hamburg, wo sie beide leben. Marco ist gelernter Bankkaufmann und Versicherungsfachmann, Maik studierte angewandte Informatik und absolviert derzeit einen BWL-Master. Trotzdem haben sie beschlossen, in einem Jahr ihren Alltag in der Stadt aufzugeben und den Hof im nahegelegenen Heimatdorf Lentföhrden zu übernehmen. Sie wollen ihre Eltern entlasten und deren Leidenschaftsprojekt am Leben erhalten. »Aber auf unsere Art«, sagt Marco. Der vegane, klimabewusste Hipster-Charakter soll mit auf den Hof.
Maik und Marco wuchsen auf dem Bauernhof ihrer Eltern auf. Doch Kontakt zur Landwirtschaft, der Arbeit der Eltern, hatten sie kaum. Es sei nicht ihr »case« gewesen – nicht ihr Ding. Bezug zu den Tieren? Auch keiner. »Die waren einfach da«, sagt Marco. Und Maik fügt hinzu: »Es war halt schon immer so: Unser Hund Rico war Teil der Familie, der wurde gestreichelt. Die Kühe hingegen wurden geschlachtet, für das leckere Fleisch. Die empfand ich damals sogar als eklig und dreckig.« Heute reflektiert Maik über sein früheres Weltbild:
Diese Trennung zwischen Nutz- und Haustier ist total willkürlich, aber das habe ich damals nie hinterfragt. Denn so werden wir nun mal in unserer Gesellschaft sozialisiert.
Erst die Distanz zum Hof bringt Maik näher zu den Tieren. Er zieht zum Informatik-Studium von zu Hause aus, trifft auf das Thema Klimawandel, sieht Greta Thunberg reden und ist inspiriert. Er will etwas ändern. Er fragt sich »Wie?«, beginnt Bücher zu lesen und Dokus zu schauen: über Veganismus, Tierrechte und Klimaauswirkungen der Nutztierhaltung.
Dabei erfährt er, was ihm seine Kindheit über auf dem Bauernhof nicht bewusst gewesen war: Kühe geben nur Milch, wenn sie schwanger sind. Dafür werden sie jedes Jahr künstlich befruchtet. Was wir Menschen trinken, ist die Muttermilch der Kälber – und damit wir sie abgepackt im Supermarkt kaufen können, halten wir Milchkühe ihr Leben lang dauerschwanger. Und er erfährt, wie viel CO2 die Tierproduktion
Abschied von einem falschen System
Den Bedarf, aus der Tierhaltung auszusteigen, scheint es auf mehr und mehr Höfen Europas zu geben. In Großbritannien nennt sich ein Projekt, das Höfen bei der Umstellung von Kuhmilch- auf Hafermilchproduktion hilft,
Viele dieser Bauernhöfe werden zu Lebenshöfen, wo Tiere ihr Leben verbringen können, ohne genutzt zu werden. Gedeckt werden die Kosten etwa durch Bildungsworkshops oder durch Patenschaften, die Menschen für einzelne Tiere übernehmen können. Das Herz für Schweinchen Rosa oder Kuh Linda ist dank süßer Videos auf Instagram und Tiktok schnell erweicht. Die »transFARMierte« Kuh muss nicht als Steak sterben, sondern darf als »Tierfluencer« weiterleben.
Joar Berge vom Lebenshof Odenwald in Baden-Württemberg inszeniert sich und seine Tiere besonders wirksam. 45.000 Menschen folgen ihm bereits auf Instagram. Der attraktive Bauer mit dem auffälligen Schnauzer ist vor allem für seine Videos bekannt, in denen er mit seinen Kühen kuschelt. Diese Aufmerksamkeit bringt ihm die nötigen Patenschaften und damit Geld, um seine Tiere zu hüten.
Die niederländische Regierung unterstützt seit 2021 sogar Betriebe, die aus der Tierhaltung aussteigen oder ihren Tierbestand verkleinern wollen,
Dass sich ausgerechnet Landwirt:innen, die mit Nutztieren ihr Geld verdienen, Gedanken zu Tierhaltung und Veganismus machen, überrascht auf den ersten Blick. Doch sie leben am nächsten zu den Tieren. Sie kriegen direkt mit, wenn Mutterkühe über den Verlust ihres Kälbchens klagen. Sie sehen die Angst in den Augen der Schweine, wenn sie diese zum Schlachthof führen.
Anette Möller erinnert sich an ihre Anfangszeit als Landwirtin: »Früher, als das Kälbchen sofort nach der Geburt von der Mutter wegkam, starrten dich die Kühe mit ihren großen Augen an. Sie wirkten fragend und traurig. Das hat sich nicht gut angefühlt. Aber damals war das so, und da hatte der Vater von Hans noch das Zepter in der Hand.« Seit sie auf die muttergebundene Kälberaufzucht umgestiegen sind, fühlen sich nicht nur die Tiere, sondern auch sie selbst besser.
Dass ihre Söhne ganz ohne Tiere
Der Markt von Pflanzenmilch boomt in Deutschland gerade. Im Jahr 2022 ist
Matthias Welzel, der Projektleiter von TransFARMation, sieht es daher als finanziell kluge Entscheidung, in den Anbau von Hülsenfrüchten
»Geht man neue Wege, stößt man immer zuerst auf Unverständnis«
Familie Möller und die 2 Berater:innen von TransFARMation haben sich um einen Tisch versammelt. Marco wippt aufgeregt mit dem Fuß, Maik klammert sich an seinen Laptop. In wenigen Stunden beginnt der Workshop mit den Mitarbeitenden des Hofs: Sie sollen offiziell in die Umstellungspläne eingeweiht werden. Die 2 Brüder hoffen sehr, im Team auf Zuspruch für die Idee einer nutztierfreien Landwirtschaft zu stoßen.
Matthias und Samara sind deswegen heute hier – um der Familie Möller bei diesem Schritt beizustehen. Sie haben Übungen mitgebracht, mit denen die Mitarbeitenden später ihre Gefühle und Gedanken zu der Umstellung ausdrücken können.
Die emotionale Begleitung sei ein zentraler Teil ihrer Arbeit, sagt Matthias: »Die Landwirte stehen mit ihrer Vision häufig allein da. Das kann den Prozess blockieren, weil dann vielleicht die Angst herrscht, von anderen ausgeschlossen und nicht so akzeptiert zu werden.«
Gegenwind sind Maik und Marco gewohnt. Ihre Ernährungsphilosophie müssen sie immer und immer wieder verteidigen. Maik lächelt abgehärtet: »Ich bin seit 2 Jahren vegan. Ich kenne also die Vorurteile und habe das Bullshit-Bingo schon oft gespielt.« Marco sieht es ähnlich und fügt hinzu: »Geht man neue Wege, stößt man immer zuerst auf Unverständnis.«
Heute geht es aber nicht nur um emotionale Themen. Auch über handfeste Finanzen wird am Tisch gesprochen. Denn ein Betrieb muss sich immer noch lohnen.
Wie sich Höfe finanzieren, die ihre Tiere nicht mehr schlachten wollen
Die Wirtschaftlichkeit sei gar kein so großes Hemmnis bei der »TransFARMation«, beschwichtigt Matthias. Die Erfahrung aus der Schweiz zeige, dass eine Umstellung finanziell möglich sei, wenn man sich breit aufstelle, wenn also mehrere Betriebszweige einen Hof mitfinanzierten. Das könne Tourismus sein, der Verkauf von Obst und Gemüse über
Diese Idee gefällt Marco und Maik. Doch der erfahrene Vater bremst die jungen Idealisten. Vor allem am Anfang rentiere sich das nicht: zu teuer die Geräte, zu gering die Nachfrage. Das wisse er von einem Bekannten.
Eine Umstellung sei für einen kleinen Familienbetrieb wie den der Möllers leichter als für mittelständische Unternehmen, die herkömmliche Landwirtschaft im großen Stil betrieben, erklärt Matthias. Auch hänge der Erfolg davon ab, wie groß die Schulden zu Beginn seien.
Doch Maik und Marco sind zuversichtlich, dass sie sich divers genug aufstellen können, um finanziell eine »TransFARMation« zu meistern.
Haupteinnahmequelle soll weiterhin der Beherbergungsbetrieb des Ferienhofs bleiben. Das zweitwichtigste Standbein im Zukunftshof Möller: ein bio-veganer Gemüse- und Getreideanbau. Das heißt, gedüngt wird nicht mehr mit Kuhmist wie bisher. Der Dünger soll von Pflanzenabfällen kommen. »Wir sind gerade dabei herauszufinden, welches Kompostierungsmodell dafür am besten passt«, fügt Marco hinzu.
Dazu wollen die Möllers Workshops auf dem Hof anbieten, um weitere Einnahmen von Schulen oder anderen Einrichtungen zu erhalten.
Und schließlich soll die erneuerbare Energie eine wichtige Rolle spielen. Seit die
Zudem haben Maik und Marco im Jahr 2023 das »Dörpsmobil« in ihr Heimatdorf gebracht – ein elektronisches Leihauto, das sich die rund 2.700 Bewohner:innen teilen können, statt ein eigenes zu kaufen. So ähnlich wie die »Miles«-Autos in großen Städten, nur fürs »Dörps«, wie die Einwohner:innen von Lentföhrden »das Dorf« nennen. Der Ferienhof Möller bietet die dafür nötigen Ladesäulen. Ob das Angebot im Dorf angenommen wird, bleibt noch abzuwarten.
»Wir wollen Leuchtturmprojekte sein«
Die beiden jungen Männer haben eine klare Vision davon, was sie mit ihrem Hof erreichen wollen: »Wenn wir übernehmen, dann möchten wir verschiedene Geschäftszweige haben, die die großen Probleme unserer Zeit mit dem Klima angehen«, fasst Marco zusammen. Damit hoffen sie, »Leuchtturmprojekte« für andere landwirtschaftliche Betriebe sein zu können.
Gleichzeitig wünschen sich die Brüder aber mehr systemische Unterstützung – so wie etwa in den Niederlanden, wo Höfe gefördert werden, um ihre Tierbestände zu verringern.
Betriebe, die eigentlich anders Landwirtschaft betreiben möchten, aber finanziell keinen Spielraum dafür haben – die muss die Agrarpolitik unterstützen. Subventionen müssen da anders verteilt werden und auch pflanzliche Produkte sollten weniger besteuert werden als klimaschädliche, tierische Produkte.
Der Verein TransFARMAtion sieht es genauso: »Unser Ziel ist, die Agrarwende in Deutschland anzustoßen. Wir machen im Kleinen, was letztendlich im Großen passieren muss«, sagt Matthias. Deshalb wollen sie die Umstellungen, die sie begleiten, bald auch wissenschaftlich untersuchen lassen. Die Ergebnisse könnten ihren politischen Forderungen mehr Hebelwirkung geben.
Bis die Politik aufwacht, machen Maik und Marco Möller, was sie können. Die jungen Männer sind idealistisch, denken weit in die Zukunft. Sie sprühen über vor Ideen. Wie damals ihre Eltern mit gutem Beispiel voranschritten und auf eine ökologische, tiergerechtere Landwirtschaft umstiegen, wagen auch sie jetzt ein Experiment, das zu einer klimafreundlicheren und besseren Welt beitragen kann.
Die Unterstützung der Mitarbeiter:innen des Hofs Möller haben sie dafür nun auch. Das gesamte Team war nach dem Workshop an Bord und bereit, den Wandel mitzutragen.
Da hört es für die Brüder jedoch noch nicht auf. Denn auch ein bisschen Tagträumerei darf nicht fehlen. Als die Frage auftaucht, was mit den leeren Melkställen passieren wird, scherzen Marco und Maik (aber nur halb): »Ein Fitnessstudio könnte man ganz gut daraus machen.« Doch im Grunde klangen alle Ideen von Vordenker:innen zunächst etwas lächerlich. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie Realität wurden.
Titelbild: Antonio Groß - public domain